Vattenfall
Cyclassics
2007 - Wer schneller ist als ich, der ist gedopt
Morgens auf dem Hinweg zu den Cyclaasics sah ich wie vor mir
jemand auf dem Radweg gleich zwei Mal hintereinander seine
Trinkflasche verlor. So ein Trottel, dachte ich. Es stellte sich
heraus, dass ich nur den, sondern einen noch größeren kannte, mich
selbst, denn ich lies gar meine Digitalkamera auf 's den Asphalt
fallen.
Dazu später mehr. Zunächst rollte ich mich auf dem Hinweg
locker ein, traf auf meine Kollegen vorm Haspa-Hanse-Center.
Gemeinsam fuhren wir zum Start, in dem wir dank der Firmenanmeldung
in kleinen Gruppen aus den gleichen Blöcken starteten.
Unsere Aufmerksamkeit erregte ein Nebenmann, der sich sich seinen in Stücke gerissen
und wie vorgekaut aussehenden Energieriegel auf 's
Rad geklebt hatte. Uns wurde vom Hinschauen schon schlecht. Ich
hatte noch genügend Zeit um die Freunde und Kollegen vorm
Levantehaus zu begrüßen, den Start der aus Promis bestehenden
Vorhut aus einiger
Entfernung zu fotografieren und mich in Ruhe wieder in meinen Block
einzureihen. Dann ging 's los.
Es schien mir fast, als wäre etwas nicht in Ordnung, weil nichts
schief gegangen war. In den Vorjahren war ich meistens im Stress vor
dem Rennen, aber das lief ja noch und das dicke Ende sollte erst
noch kommen. Zunächst kam ich gut voran, fand meistens einen
geeigneten Vordermann, bis ich mir nach den Steigungen den nächsten
suchen musste.
Die Strecke war meines Erachtens gut abgesichert. Zahlreiche
Sicherheitskräfte mit Fahnen und Pfeifen sowie große Schilder
wiesen auf Gefahrenstellen wie zum Beispiel Verkehrsinseln hin.
Auffallend auch die Frau in Feuerwehruniform mit dunkelbraunen (!)
Minirock. Der passte nicht zur Jacke aber zu ihren Beinen. Die
Schienen im Hafen waren so gut mit Quarzsand ausgefüllt, dass ich
nicht eine verlorene Flasche daneben hab liegen gesehen. Trotzdem
kam es auf dem ersten Stück zu schweren Stürzen.
Auf den Süderelbebrücken standen links zwei Rettungswagen an
denen Leute behandelt wurden. Recht saß einer mit
blutüberströmten Kopf am Straßenrand. Hoffentlich waren seine
inneren Verletzungen nicht so schwer wie es von außen aussah.
Haarig waren die Einfahrten zu den beiden Baustellen vor
Holm-Seppensen, wo die ohnehin enge Straße halbseitig gesperrt war.
Als ich dort ankam waren nur wenige Fahrer neben mir, so dass wir
kein Problem damit hatten. Große Gruppen aber mussten abbremsen, so
dass sich dort zeitweise gar ein Stau bildete.
An der dahinter liegenden Verpflegungsstation war es für mich
überraschend leer. Es hätte genügt, wenn ich zwei große Flaschen
mitgenommen und an den Stationen aufgefüllt hätte. Statt dessen
hatte ich mir um insbesondere Wartezeiten zu vermeiden meinen Trinkrucksack mit
drei Liter Apfelsaft-/Leistungswassergemisch auf den Rücken
geschnallt. Den habe ich während der Fahrt eigentlich nie gespürt,
trotzdem wäre es ohne angenehmer gewesen.
Unterwegs traf, besser sah ich etliche Bekannte, einen bestens
aufgelegten Henrik von der Nicht-bloß-heiße-Lufthansa, Ulli
Behn von der BSG Sasol Wachs, Gabriele Hellkuhl von Beiersdorf und
vom Mittwochstreff, Peter Schmidt im Verdi-Dress, mit dem ich im letzten
Jahr ein gutes Stück durch die Alster "getrieben" bin und
unter anderem einen Haspanesen, den ich nicht erkannte, der mich
angrinste, als ob er mir sagen wollte "Ich bin schneller als
Du." Früher
hatten die Rennen ein Motto. Ich habe in diesem Jahr mein eigenes - "Wer schneller ist wie ich, der ist gedopt."
Eine passende Antwort wäre auch gewesen "Na und? Du bist jünger als ich und fährst die
kürzere Strecke."
Ein mir unbekannter Radler sprach mich wohl im falschen Moment
an. "Bist Du Helmut?" Außer einem "Ja, ich such grad
wieder Anschluss an die Gruppe." hat er nichts aus mir heraus
bekommen. Sorry, nächstes Mal hab ich bestimmt Zeit für Dich.
Immer wieder schlossen große Gruppen von hinten auf. Dabei
musste man aufpassen, dass man nicht zu weit rechts fuhr, um noch
Reserven zum Ausweichen zu haben. Einige fuhren in Zweierreihe auch
dann stur am rechten Fahrbahnrad wenn sie andere überholten und
das, obwohl die Straßen überwiegen Platz genug boten. Zum
Fotografieren und Notizen sprechen lasse ich mich oft zurückfallen,
verliere dabei immer wieder den Anschluss meine Vorderleute. Als ich
mein Diktiergerät raushole fragte mich einer ob ich ein Taxi
bestelle.
Ganz anders ging es in der führende Gruppe aus dem A-Block zu,
wie mir meine Kollege Joerg "weicjo" Weichert erzählte.
Da wurden verschiedene Manöver gefahren um die Verfolger
abzuschütteln, hinter jeder Kurve scharf beschleunigt und abrupt
die Seite gewechselt um die Verfolger aus dem Windschatten zu
bekommen. In der ersten Reihe kann man das machen. In den hinteren
bringt es nichts außer Gefahren für sich und andere.
Immer wieder erstaunt es mich mit welcher Verbissenheit einige
Leute die Straße für sich reklamieren. Die Cyclassics sind im
warsten Sinne des Wortes ein Jedermannrennen mit A-Lizenz-Fahrern,
Promis und Leuten, die einfach nur mal mitfahren wollen. Bei weit
über 20.000 Teilnehmern ist dies nicht anders zu erwarten und seit
Jahren bekannt. Wenn sich jemand über Teilnehmer ereifert, nur weil
die langsamer waren, frage ich mich wer von beiden etwas falsch
macht. Wer richtig Rennen fahren möchte, sollte eine Rennlizenz
erwerben um sich unter gleichen zu messen.
Beim Jedermannrennen gibt es nicht einmal einen Blumentopf zu
gewinnen. Es gibt keine Siegerehrung. Um die erste Plätze fahren
kann nur wer im Block A steht, weil nicht die beste Zeit zählt,
sondern wer zuerst über die Ziellinie kommt. Die Namen der Sieger
nehmen wenn überhaupt nur Leute zur Kenntnis, die in den
Ergebnislisten nach ihrem eigenen oder denen ihrer Bekannten suchen.
Ich habe überwiegend nur Promis überholt, zu erkennen an den
roten Startnummern. Einer hatte ein St. Pauli-Trikot an und solche
O-Beine, dass einem sofort klar wurde, warum er Fußballer und nicht
Radsportler geworden ist.
Das Hotel Cordes lockte in diesem Jahr nicht mit alkoholfreiem
Bier zum Sonderpreis Fahrer von der Straße, sondern reichte es in
Bechern direkt ans Rad. Hinterm Elbhang hatte einer eine
"Doping-Tanke" aufgebaut, hatte auf seinem
Tisch vor sich einige Vollbiere im Angebot. Auf einem der ersten
Anstiegen in der Nordheide verteilte eine Dame Bananen aus einem
großen Karton. Von solchen Aktionen der Zuschauer würde ich gern
noch mehr sehen.
Trotz guten Wetters waren deutlich weniger Zuschauer als in den
Vorjahren auf den Beinen. Das haben wir wohl den Dopingskandalen zu
verdanken. In einigen Dörfer herrschte Partystimmung. Am besten
drauf waren die in Schierhorn. In Buchholz
war es erschreckend leer an den Ansperrgittern. "Schieben ist
keine Schande" konnte man auf einem Plakat lesen. So ist es.
Statt scheinbar unmenschliche Leistungen erbringende Profis würde
ich gern wieder menschelnde Rennfahrer im Fernsehen sehen. Ohne zu
dopen werden sie ja nicht gleich vom Rad steigen müssen.
Weil ich zu wenig getrunken und zu spät meinem Körper Magnesium
zugeführt und wohl auch zu für die Langstrecke wenig trainiert
hatte überfielen mich in den vergangenen Jahren immer so ab
Kilometer 90 Krampfattacken in den Oberschenkeln. Über die
Köhlbrandbrücke kam ich ohne und noch recht locker rüber.
In Wilhelmsburg sah ich vor mir einen Radfahrer vor sich hin
dümpeln. Plötzlich sprintet er unvermittelt los, verliert dabei
seine volle wohl eben erst aufgerissene Cola-Dose. Dem müssen die
Endorphine übergeschäumt sein.
Bis zur Felderteilung vorm Hauptbahnhof hatte ich einen Schnitt
von 33 km/h gefahren. Mir war klar, dass der auf der Westschleife
deutlich abfallen würde, ich aber selbst mit Krämpfen vor dem
Besenwagen ins Ziel gelangen würde.
Auf Schnackenburgsallee winkten zwei junge Damen uns zu. Ich fuhr
direkt auf sie zu um sie abzulichten, was auch recht gut gelang. Den
noch fotografierbereiten Apparat in der linken Hand fuhr ich weiter,
las im Augenwinkel einem Namen, der meine Aufmerksamkeit erregte
"Fisch-Hagenah". Über diesen Fischhändler hatten wir im
Kollegenkreis oft gesprochen und nun sah ich ihn endlich. Nach
rechts schauend entglitt mir dabei links der Fotoapparat.
Meine Canon Ixus 55 hatte schon heftigere Stürze überlebt. Bei
diesem Fall landete sie aber auf dem ausgefahrenen
Teleskop-Objektiv, welches sich dabei verbog. Wenn mich etwas aus
der Bahn wirft, dann sind es schöne Frauen und gutes Essen. In
diesem Fall war es letzteres. Als ich daheim die Speicherkarte
auslas, war für mein sofort Mädel klar, was mir die Konzentration
raubte. Das letzte Bild zeigt es doch eindeutig.
Unterwegs habe ich nur drei Squeezi-Gels zu mir genommen. An der
Verpflegungsstation in Wedel entflammte in mir der Wunsch etwas
richtiges zu essen. Sehnsüchtig dachte ich an ein Stück Banane.
Wozu aber hatte ich dann Verpflegung an Bord? Das bisschen Genuss
würde unangemessen fiel Zeit kosten, also fuhr ich dran vorbei.
Gedacht habe ich dabei schon an den zweiteiligen Anstieg auf
den Kösterberg. Gleich zu Beginn des ersten meines Erachtens etwas
steileren Stückes schaltete ich in den kleinsten Gang, versuchte
locker zu pedalieren, was mir nicht gelingen wollte. Meine Beine
waren bereits zu verkrampft. Mein Tempo fiel auf 15 km/h ab.
Neben mir schloss eine Dame von um die 65 Jahren zu mir auf. Das
allein
wäre ob ihres Alters und Geschlechts schon erwähnenswert, weil sie
die einzige auf der Langstrecke gewesen wäre. Aber diese hier fuhr auf dem Gehweg in Sonntagskleidung aufrecht auf
ihrem Damen-Stadtrad sitzend. Sie wird
wohl ausgeruht von einem der angrenzen Grundstücke gekommen sein,
trotzdem kam
ich mir unpassend vor. Ich habe ihr meinen Respekt bekundet.
Gern
hätte ich sie fotografiert, aber das hätte wohl auch mit
funktionsfähigem Fotoapparat nicht geklappt, denn genau in dem Moment war es
soweit: Als ob jemand zwei Dolche in meine
Oberschenkel rammte, so setzte urplötzlich eine Krampfattacke ein.
Nur mit Mühe konnte ich einigermaßen schmerzfrei vom Rad
absteigen. Meine Erfahrung aus den Vorjahren besagte, dass ich
einige Meter schieben sollte, damit es weitergehen konnte. Die Dame
zog unbeirrt weiter gen Kuppe davon.
Zu allem Überfluss überholte mich
dann auch noch ihr
Mann. Zum Glück waren keine Fotografen mehr in der Nähe. Gern hätte auch ich am Montag ein Bild von mir in der
32-seitigen Cyclassics-Sonderbeilage des Hamburger Abendblattes
gesehen, aber nicht mit dieser Szenerie.
Die Leute am Wegrand blieben nett zu mir, riefen mir immer wieder
zu wie weit es noch bis zu Kuppe war. Bei mir war danach trotzdem die
Luft raus. Bei der Abfahrt vom Kösterberg bis runter zur Elbe kann
man mächtig Fahrt aufnehmen, dazu hatte ich einfach nicht mehr die
nötige Konzentration, wollte nur noch ins Ziel kommen.
Beim Blick auf den Tacho fiel mir auf, dass ich eine neue
persönliche Bestleistung aufstellen könnte, wenn ich denn nur noch
eine halbe Stunde lang einen Schnitt von um die 30 km/h durchhalten
würde. Dies wollte ich gern tun, doch geeignete Mitfahrer fand ich
nicht mehr. Die wollten anscheinen alle nur noch in Ruhe gelassen
werden. Immerhin sah ich wie vier Leute solidarisch gemeinsam eine
Reifenpanne behoben. Abwechselnd sprach ich mir Mut zu und sagte mir, dass es
nicht so wichtig wäre.
In der Zieleinfahrt erspähte mich Sieglinde Meyer, rief mir zu.
Eigentlich war sie gekommen um den Einlauf ihres Mannes Matthias zu
sehen, der aber war bei seiner Cyclassics-Premiere auf der
100er-Strecke deutlich schneller als erwartet, fuhr durch 's Ziel,
als sie noch im Regionalexpress saß.
Mit Mühe überfuhr ich dann doch nach 4:58:57 das Ziel, zehn
Minuten schneller als im Vorjahr. Und genau in dem Moment schlugen
die Krämpfe wieder in meine Oberschenkel ein. Normal Pedalieren
konnte ich nicht mehr, absteigen darf man dort nicht. Bis zur Kurve
hinter Saturn biss ich mich durch, doch absteigen konnte ich auch
dort nicht. Zwei Helfer mit Megaphonen riefen uns zu "Noch 500
Meter, dann haben Sie es geschafft." Hab ich dann auch.
An der Verpflegungsstation waren die Bananen schon ausgegangen. Immerhin
reichten die Helfer von der Radwandergemeinschaft Hamburg
West erfrischende Orangenstücke und Hella Mineralwasser mit und
ohne Aromen. Die Orangen wurden von Markus Krystek vom RV Germania und Webmaster des Radsportverbandes
Hamburg aufgeschnitten. Man muss die Cyclassics nicht selber fahren
um sie zu erleben.
Mit Matthias, Sieglinde und Ralf vom RV Trave traf ich mich am
Ziel bei Burger King. Selbst als die Profis zum ersten Mal hier
durchfuhren waren noch einige kostenlose Sitzplätze auf den
Tribünen frei. Eine Ausreißergruppe fuhr mit über acht Minuten
Vorsprung vor dem auf mich wenig engagiert wirkenden Feld durch 's
Ziel. Erst als wir auf dem Heimweg waren, ging die Post ab.
Mein Fazit: Bei meiner neunten Teilnahme war der Erlebniswert
nicht mehr so groß wie am Anfang und in den Jahren, in denen ich
mich bzgl. der Streckenlängen gesteigert hatte. Das lag wohl auch
an den im Dopingskandaljahr 2007 nachgelassenen Zuschauerinteresse.
Vielleicht sollte ich das Rennen im nächsten Jahr mal aus einer
anderen Perspektive erleben. Vielleicht mit meinem Mädel auf der
55er-Strecke?
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