Fahrrad-Sternfahrt Hamburg
2006 - Fröhliche Demo und tolle Radtour
Eingestimmt war ich auf eine fröhliche Fahrrad-Demo mit Fahrt über die Köhlbrandbrücke. Die wurde auch geboten, aber es gab noch viel mehr zu erleben. Die Tour von der Kehrwiederspitze durch den Hafen war eine tolle geführte Radtour mit vielen beeindruckenden Ausblicken auf alte und neue Hafenanlagen. Die Routen führten sternförmig zur Moorweide, vor dort weiter zur Altonale, dem großen Straßenfest in Altona. Alle
Stecken südlich der Elbe führten nach Waltershof, wo die Köhlbrandbrücke eine Stunde lang einseitig in Richtung Zentrum für den Autoverkehr gesperrt wurde. Um die Nordelblichter ebenfalls in den Genuß der Brückenüberfahrt kommen zu lassen und ihnen die Anfahrt mit dem Fahrrad zu ermöglichen, führte eine Route von der Hafen-City zunächst gen Süden. Um 10:15 Uhr ging 's los. Für mich begann die Tour wie immer unter Zeitdruck. Ich hatte überlegt, ob ich auf eigene Faust den kürzesten Weg zum Treffpunkt S-Bahnhof Wilhelmsburg anfahren sollte, dann aber ohne Wecker und voller Vorfreude so früh aufgewacht, dass ich rechtzeitig mit dem Rad an der Kehrwiederspitze sein konnte. Das Mehr an Zeit hab ich dann wie so oft vor dem PC vertrödelt, dann volle Pulle die elf Kilometer in die Stadt gefahren. Die Radwege waren frei, anders als bei meinen Fahrten zur Arbeit. Sollte sich in der Hafen-City etwa nur ein kleiner Haufen versammeln? Ich wohne in Tonndorf. Um die Sternfahrt auf direktem Weg mitzufahren wäre mein Treffpunkt der Wandbeker Markt gewesen, allerdings erst dreieinhalb Stunden später. Die Fahrt entlang meines Arbeitsweges erschien mir für mich zu langweilig zu sein. Ich traf dann doch auf ca. 300 Leute, darunter meinen ehemaligen, weil in Rente befindlichen Arbeitskollegen und Newsletter-Abonnenten Reinhold Kratzsch, dem ich erst kaum ein Wort gönnte, weil ich die Begrüßung der Teilnehmer nicht versäumen wollte. Mathias Bölckow von der GAL und Rolf Jungblut vom ADFC hießen uns willkommen, erklärten uns den Ablauf und das Vorgehen beim Queren der gefährlichen Gleise hin. Immer wieder webte Mathias kommunalpolitische Aspekte ein, hier den, das die Radwege in der Hafen-City zu schmal geplant wurden. Die neuen Radwege sind so eng, dass die Radwegbenutzungspflicht aufgehoben werden muss. Für den Rest des großen, weitgehend noch unbebauten Areals sollte die Planung überarbeitet werden. Wir klingelten noch kurz ins Mikrofon des NDR-Hörfunks – wo war eigentlich Hamburg 1? -, dann ging’s los. Die Polizei fuhr vorneweg und von hinten kamen ständig Leute hinzu. Das Tempo war mäßig und doch für einige ältere Teilnehmern und solche mit Kindern zu hoch. Immer wieder sammelten wir uns, was Mathias,
Abgeordneter der Bezirksversammlung Hamburg-Mitte und
stellvertretender Sprecher der LAG Verkehr in der GAL, die Gelegenheit bot interessante Informationen über die Umgebung durch sein Megaphon zu verbreiten. Für ihn war es eine besonders anstrengende Tour. Er hielt Kontakt zur Polizei,
zu seinen Helfern und zu der in einer irre langen Schlange fahrenden Gruppe, glänzte zwischendurch mit seinen Ortskenntnissen.
Er wirkte unglücklich dabei, weil Rolf, der die Tour ausgearbeitet hatte,
ihm vom hinteren Ende berichtete,
dass die Teilnehmer dort unzufrieden waren, weil sie nur langsam folgen
und vor allem nichts hören konnten. Rolf bat ambitionierte Radler vorweg zu fahren und die anderen vor den Schiene zu warnen. Das klappte anfangs auch recht gut, war später nicht mehr nötig, weil man sich daran gewöhnt hatte sich gegenseitig zu warnen. Ich ärgerte mich, dass ich das GPS-Gerät zum Aufzeichnen der Strecke nicht dabei hatte. Ich hatte geglaubt, wir fahren die übliche Strecke wie bei Vattenfall-Cyclassics ab. Weit gefehlt, Mathias führte uns mitten durch das am arbeitsfreien Sonntag nahezu autofreie Industrie- und Hafengebiet mit vielen beeindrucken Ansichten. Wir fuhren über den Rangierbahnhof Hamburg Süd und den Elbdeich an den idyllischen Spreehafen. Der liegt neben Wilhelmsburg, abgeschnitten vom Stadtteil durch einen langen Zaun. Würde man den an mehreren Stellen öffnen, hätten die Wilhelmsburger ein tolles Naherholungsgebiet.
Am Ende dieses Berichts führt ein Link zu einem Routenplan. Der Spreehafen liegt auch im Visier der Planer der Hafenquerspange, die dieses Gebiet durchschneiden würde. Dagegen kämpft
die Initiative Zukunft Elbinsel, von der Michael
Rothschuh zu uns sprach. Vorbei ging’s am Container-Gebirge, wo leere Container staatlich subventioniert auf ihre weitere Verwendung warten. Es folgte die Rethehubbrücke und die
Kattwykbrücke, über die wir gemäß polizeilicher Auflage schieben mussten. Diese Auflage machte Sinn, weil Schienen mitten auf der Straße über die Brücke führen. So ging es dann gemächlich hinüber und viele nutzen die Zeit für ein erstes Foto mit dem Hafen im Hintergrund. In der Zwischenzeit waren die Leute vom Treff am S-Bahnhof Wilhelmsburg zu uns gestoßen. Wir waren nun wohl bereits weit über 1.000 Teilnehmer. Was schon aus der Ferne beeindruckend aussah und immer näher rückte war der Container-Terminal Altenwerder, an dem wir letztlich direkt dran vorbei fuhren. Diese Anlage ist zutiefst beeindruckend mit den riesigen Kränen und führerlosen, vollautomatischen Transportfahrzeugen. An einem Kran hing eine Lokomotive, wartete, dass ihr Schiff einlaufen wird. Bis dahin war ich mit Reinhold geradelt. Wir waren beide berauscht von den vielen
neuen Eindrücken, doch nun wurde es Zeit, dass ich zur Spitze aufschloss, weil ich von der Brücke aus den Zug fotografieren wollte. Die brauchte ich später auch, weil ich zunächst Platz auf meiner vollgeknipsten Speicherkarte schaffen musste. Auf der Fahrt zur Hafen-City war mir der Fotoapparat aus dem fahrenden Rad auf den Fußweg geknallt. Bei der Qualität Hamburger Radwege erwies es sich als blöde Idee den Apparat ins Aufbewahrungsnetz vorne in die Lenkertasche zu packen. Dort wurde er wie mit einem Katapult herausgeschleudert. Dank dem Vollmetallgehäuse der Ixus 55 überlebte er den Sturz mit nur leichten Kratzern. Kurz vor der Brücke treffe ich auf Christine Enders vom ADFC Hamburg. Sie verteilt Zeitschriften und Programmhefte. Die Radwelt ist leider schon vergriffen. Sie
berichtet mir begeistert von der Feier des ADFC Hamburg anläßlich dessen
25-jährigen Bestehens. Wie (auch Hobby-)Journalisten nun mal so sind, sag
ich, die könnten mir ja ne Einladung schicken. Darüber sieht sie mich
fassungslos an. Außerhalb der Radsportszene sind meine Seiten wohl kaum
bekannt. Die Fahrt über den Köhlbrand war so anders für mich als bei den HEW-Cyclassics in den Vorjahren. Viele Leute und kein Streß. Wir radelten gemütlich aufwärts mit ständig abnehmenden Tempo, weil viele Leute die Aussicht genossen und Fotopausen einlegten. Aus
Stade, Buxtehude, Buchholz, Hittfeld und Lüneburg hatten Zubringerrouten mehrere tausend Leute an die Brücke herangeführt. Die Schlange der Radfahrer schien kein Ende zu nehmen. Es werden nach meinem Eindruck um die 5.000 gewesen
sein - oder waren es 3.000 oder gar 10.000? Schwer zu sagen, weil ich
nicht genau darauf achtete. Auch auf dem höchsten Punkt und bei der Abfahrt gab es kein Gedränge. Alle waren locker drauf, schienen Zeit und gute Laune mitgebracht zu haben. Mir fällt Anton Wocken auf. Er trägt ein ADFC-Shirt und fotografiert unaufhörlich. Anton ist Tourleiter des ADFC für die Touren „Zu den schönen Frauen von Ohlsdorf“ und „Von Binnen na Buten un torüch“. Beide bieten „Kultur und Natur“ bei langsamen Tempo. Vor den Elbbrücken sperrte die Polizei zunächst die Zufahrt ab, bis die letzten aufgeSchlossen hatten. Dann ging es mit großer Polizeieskorte durch die City-Süd zur Alster und weiter zur Moorweide, wo sich alle Routen trafen. Unter den Auto- und Eisenbahnbrücken nutzten viele Radler den Wiederhall um ihre Klingel laut erklingen zu lassen. Das war’s denn auch im wesentlichen bis dahin was wie eine Demo wirkte. Einzelne Teilnehmer demonstrierten für ihr eigenes Anliegen, z. B. die Initiative für den Volkspark und die
Hartz-IV-Montagsdemo. An der Alster kam es dann zu dem einzigen „Zwischenfall“ den ich bemerkte. Ein Fußgänger meinte nicht warten zu können um die dichtbefahrene Straße zu queren. Ohne auf die Räder zu achten lief er stur auf die Fahrbahn, pöbelte „Ich würd’s ja mal mit Bremsen versuchen.“ Der hatte wohl das falsche Zäpfen abbekommen. An Fahrrädern war alles dabei, was man sich vorstellen kann, von alten Rostlauben bist zu mehrere tausend Euro teuren Hightech-Geräten war alles dabei. Räder für den Stadtverkehr, Tandems, Liegeräder in vielen Variationen, Mountainbikes und Rennräder, es gab alles zu bewundern. Gegenüber den Radsportveranstaltungen für Jedermann lag der von mir gefühlte Durchschnittspreis der Räder deutlich darunter. Für das Gros der Teilnehmer ist das Fahrrad kein Sportgerät, sondern ein Fortbewegungsmittel. Für mich ist es beides, je nach dem. Das
Publikum war teils auch ein völlig anderes als bei einer RTF (steht für
Radtourenfahrt, einer ausgeschilderten sportlichen Radtour), dabei nicht
so homogen und weniger einer Szene zugehörig. Da spreche ich nahezu jeden
Teilnehmer ohne groß vorher zu überlegen an, frage nach Herkunft und
Motiven. Hier fuhren zwar alle für eine gemeinsame Sache und wirkten doch
weniger als Gemeinschaft als die Radsportler. Eigentliches Anliegen der Sternfahrt war es für mehr Geld für mehr Velorouten und Radspuren auf den Straßen und bessere Radwege und Fahrrad-Abstellanlagen bereitzustellen. Ich hoffte, dass auf der Moorweide jemand wortgewaltig diesem Anliegen Ausdruck verleihen würde. Die
Bild-Zeitung schrieb am folgenden Montag was von "nur" 5.000
Teilnehmern, halb so viele wie im Vorjahr. Ich war enttäuscht.
"Bild-Reporter sehen zwei Mal hin" lautet einer deren Slogan.
Das taten sie aber wohl nur an der Moorweide. Da kam nur ein Bruchteil der Teilnehmer an, fuhr wohl auf eigene Faust zur Altonale oder war längst wieder auf dem Heimweg. Immerhin
traf dort Axel und Bettina Schnellbügel, meine radfahrenden Nachbarn. Axel hatte mit seinem Liegerad fünf Wochen lang Japan bereist, überlegt nun ernsthaft sein Auto abzuschaffen, weil er es kaum braucht. Es ergriff dann
Marianne Wildberger von Attac das Megaphon. Sie sprach
ebenso engagiert wie in der Rede vor vielen Leuten ungeübt gegen die Privatisierung der Bahn. Ich
vermißte überzeugend wirkende Redner vom ADFC, Greenpeace
oder dem NABU. Mir ging das so auf den Keks, dass ich ohne schlechtes Gewissen dem Ruf meiner inneren Stimme an den heimischen Herd folgte. Der Spargel und mein Mädel warteten auf mich. Überhaupt wirkte die ehrenamtlich
ausgearbeitete Organisation nicht perfekt und doch liebenswert. Auf der Homepage der Fahrrad-Sternfahrt waren auf den ersten Blick keine Kontaktdaten zu finden. Klickte man auf die Routenübersicht, wurde die etwas größer angezeigt, darauf waren dann auch Telefonnummer und E-Mailadresse abgebildet. Bezüglich der Fahrt am 18.6. rief ich dort ein Woche vorher an. Es meldete sich ein Anrufbeantworter, der sinngemäß folgenden Text von sich gab: "Wenn Ihr wegen der Fahrrad-Sternfahrt anruft oder weil Ihr den oder den sprechen wollt, seid Ihr hier richtig. Wir sind im Moment nicht da, kommen am 19.6. wieder." Hä? Per Mail erreichte ich dann jemand. 62 Kilometer habe ich abgespult. Weil ich nach den zahlreichen Fotostops immer wieder nach vorne aufschloss, fühlte ich mich danach wie nach einer RTF mit über 80 Kilometern. Fazit: Tolle Idee und gute Umsetzung mit einer Super-Radtour durch den Hafen. Es war der „Tag des Fahrrades“ in Hamburg. Bei den Vattenfall-Cyclassics feiern wir „nur“ den „Tag des Rennrades“. Was noch fehlt
sind überzeugende Redner, die den berechtigten Forderungen angemessen Ausdruck
verleihen.
Mir
hätte die Tour für die gute Sache durch den Hafen auch ohne Mathias
Ausführungen Freude bereitet. Wenn auch viele Teilnehmer sie nicht hören
konnten, sollten sie doch den anderen das Vergnügen gönnen und nicht
für alle kaputt quengeln.
Mindestens zehn Helfer hätte es bedurft es jedem recht zu machen. Es
wäre schade, wenn man mit überzogenen Forderungen diese Veranstaltung
kaputt machen würde. Sie würde dann an ihrem eigenen Erfolg zu Grunde
gehen.
Unterstützung ist trotzdem gern gesehen. Wenn Du magst, melde Dich
bitte bei Mathias. Im nächsten Jahr wird sich hoffentlich die
Teilnehmerzahl deutlich erhöhen. Primäres Ziel ist es an
diesem Tag so viele Räder wie möglich für den Fahrradverkehr auf die
Straße zu bringen. Hier
stehen über 30
Bilder von der Fahrrad Sternfahrt 2006 Hier
die Diaschau
von der Fahrrad Sternfahrt 2008 mit Fahrt über ein Stück Autobahn
und die Köhlbrandbrücke Hier
der Bericht
von der Fahrrad Sternfahrt 2007 von Tonndorf zur Moorweide, inkl.
Abschlussrunde um die Alster
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