Tour
d'Énergie von den Zietenterrassen
im Rahmen der Oddset-Rundfahrt 2005
Nur noch sechs Minuten bis zum Start und wo
zum Teufel ist mein Vorderrad geblieben? Ich hatte einen
"Schleicher", bei dem binnen eines Tages die Luft entwich.
Wenn der Reifen nun während des Rennens 80 Kilometer weit walkt,
wird er dann die Luft schneller verlieren? Sicherheitshalber will
ich einen neuen Schlauch einziehen. Genau an dem Tag war die A7
vollgesperrt und so kam ich wie immer in Zeitnot, überlasse dies
lieber den Profis von Velo-Sport. Die aber kannten sich mit meinen
alten Campa-Aero-Felgen nicht aus. "Ein
neuer Schlauch? Kein Problem!" Ratzfatz ist er vormontiert, nur
das Ventil ist zu kurz für meine extrem hohen Felgen. Das
irritierte den Mechaniker nicht sonderlich, er montiert einfach
weiter. Nun fährt das Mechanikerfahrzeug davon, ich in Panik
hinterher, weil ich mein Laufrad an Bord wähne. Entwarnung! Der
Mechaniker samt Rad ist noch da, versucht verzweifelt Luft in den
Schlauch zu bekommen. Dann die rettende Idee:
Wir ziehen einfach wieder den alten Schlauch ein. Aber wo ist der?
Im Auto! Ich sehe den Mechaniker mit meinem Laufrad davon eilen,
verliere ihn gleich aus den Augen. Bange Minuten vergehen, bis ich
es wieder prall mit Luft gefüllt in den Händen halte. Diese Aktion
hätte ich besser daheim und allein erledigen sollen. Besser wäre
es auch gewesen meinen Reserveschlauch einzuziehen und den defekten
als Reserve zu behalten. Immerhin
kann ich mich endlich sammeln und meine Gedanken auf das Rennen
konzentrieren. Ich stehe im Startblock E, einem Lutscher-Block weit
hinter der Startlinie, verpasse deshalb
den Anblick der Chearleaderinnen des GSC Göttingen. Dafür haben
wir freien Blick auf Tourteufel Didi Senft, der erhöht stehend
Faxen für uns macht. Vor uns hat sich eine große
Polizei-Motorradeskorte formiert. Die und der AvD sorgten während
des Rennens für eine nahezu perfekte Absperrung der Strecke. Wir
stehen in der Reihenfolge, in der unsere Anmeldung eingegangen war,
weil es bei dieser Premiere des Rennens keine Vergleichswerte gab.
Ich schaue mir die Räder meiner Mitstreiter an. Kaum jemand hat ein
aktuelles Rennrad. Beim Jedermannrennen bei den HEW-Cyclassics wurde
im neunten Jahr mit erheblich höherem Materialaufwand gefahren. Ich
empfinde Respekt für jeden, der sich hier mit einem uralten Rennrad
oder mit einem Trekkingbike mit Nabendynamo an den Start wagt. Das
Wetter ist nicht schlecht für einen Tag Ende April. Bis zum Ende
bleibt es trocken mit Temperaturen um die zwanzig Grad. Ich genieße
noch schnell den mit dem Startunterlagen ausgeteilten Müsliriegel mit Rosinen von
der Göttinger Vollkornbäckerei Das Backhaus. Wow! Der schmeckt
super, viel, viel
besser als die Corny- oder gar Aldi-Riegel. Wenn es den doch bloß
auch in Hamburg zu kaufen gäbe. Ständig gibt
der Sprecher letzte Informationen durch, mahnt zu vorsichtiger
Fahrweise, vor allem auf dem ersten Abschnitt. Fünfzehn Sekunden
vor dem Start sagt er den Countdown an. Die letzten zehn Sekunden
skandieren wir ohne ihn. Dann ein Schuss und wir rollen los. Die
ersten acht Kilometer des Rennens zwischen Leinetal und
Weserbergland sind neutralisiert. Das ist gut so, weil der Weg in
die Stadt teils eng, kurvig, holprig und abschüssig ist. Ein
Trottel von einem Briefträger hat es eilig, grinst schelmisch und
kreuzt hinter mir unseren Weg. Erst hinter der
Stadtgrenze wird das Rennen freigegeben. Ein richtiger
"fliegender Start" wird es nicht, weil - Warum eigentlich?
- genau an der Stelle das Feld massiv ins Stocken gerät. Ich gehe
es langsam an, spare mir meine Kräfte für die beiden vor uns
liegenden langen Anstiege auf. Ganz anders der Verrückte, der mich
rechts überholt. Passend dazu, dass er anscheinend vom
Straßenradfahren keine Ahnung hat, steht groß "Indoor-Cycling"
auf seinem Trikot. Mit
Andreas Carstens vom Team Mr. Snackattack fährt zunächst ein
Hühne aufrecht vor mir, bietet viel Windschatten. Es beginnt
hügelig. Wir gewinnen ca. hundert Meter an Höhe und ich verliere
immer wieder meine Vorderleute an den Steigungen und beim
Fotografieren. Als Belohnung kann ich später nach Jahren der
Abstinenz endlich mal wieder Kehren bergab durchfahren. Einige
Kilometer weiter sehe ich wie Sanitäter einen auf offener Strecke
schwer gestürzten Radler versorgen. Erst ab Hannoversch-Münden
werden wir auf der gleichen Strecke wie die Profis fahren. Die
Zuschauer in den kleinen Orten bis dorthin sind nicht minder
enthusiastisch. Es ist rührend anzuschauen, wie sie sich über
unser Vorbeifahren freuen. Ich verspreche einem Fahrer, der ein
Stück mit mir fuhr, ihn hier namentlich zu erwähnen, finde aber
später die Notiz nicht auf meinem Band. Sorry! Ab Hannoversch-Münden folgen wir dem
sich wunderschön dahin windenden Wesertal über Gimte bis Hemeln.
Ich halte Ausschau nach dem beliebten Weser-Radweg, kann ihn zuerst
nicht entdecken, weil der Streckenweise völlig abseits der Straße
verläuft. Ich sehe viele Touren-Radfahrer darauf entspannt durch
die Landschaft gleiten. "Das
war ein Bonanzarad!" höre ich einen Zuschauer seinem Nebenmann
zurufen. "Das glaube ich kaum." denke ich bei mir. Kurz
darauf sehe ich es dann direkt vor mir, habe Mühe ihm zu folgen.
Bei einem Rennen kauert man sich für gewöhnlich auf seinem Rennrad;
dieser Fahrer aber sitzt aufrecht mit einem
Lächeln auf seinem Show-bike, sieht im Tri Top-Trikot seines Sponsors
aus wie ein explodierter Wellensittich. Später erfuhr ich, dass das Tri Top-Bonanza-Team
alle großen Jedermannrennen in Deutschland mitfährt, also auch
Rund um den Henninger Turm und die HEW-Cyclassics. Respekt!
In Hemeln
geht es nach rechts raus aus dem Tal, hoch in den Bramwald bis zur Passhöhe
auf 450 Metern Höhe. Wie soll ich hier hochkommen, wo ich doch
immer schon an Hamburgs Hügeln verzweifle, hatte ich mich tagelang
zuvor gefragt. Es geht dann aber doch recht gut, weil die Steigung
über fünf Kilometer Länge nahezu konstant bei "nur"
fünf Prozent liegt und keine Spitzen ausweist. An der
Verpflegungsstation am Scheitelpunkt genieße ich Bananenstücke und meinen ersten Red Bull.
Das Zeug schmeckt nicht schlecht, besser als das Gesöff aus
Leitungswasser und Apfelsaft in meinen
Buddeln, aber das leckerste sind die Mädels, die
das Zeug ausschenken. "Red Bull verleiht Flügel."
säuselt mir eine ins Ohr. Mein Verstand beginnt sich zu
verflüchtigen. Der mir verbliebene Rest entgegnet "Ja, wenn man auf der Abfahrt scharf
genug bremst." Darüber haben wir beide
gelacht und ich widme mich wieder dem Rennen. Zunächst gilt es
ein Foto vom Anstieg zu schießen. Theresa Beissel
aus Dransfeld feuert mit ihrer Rassel jeden Radler enthusiastisch
an. Na klar, die muss mit auf 's Bild. Die Abfahrt
will mir zunächst keine rechte Freude bereiten. Der Weg ist
schlecht, durchschnitten von tiefen Längsrillen, die mich
respektvoll das Tempo drosseln lassen. Später erreiche ich dann
einfach nur rollend bis zu 65 km/h. In einem Ort muss ich vor einer
Kurve scharf bremsen, finde mich dahinter auf Kopfsteinpflaster
wieder. Auf der Landstraße sehe ich am Wegrand ein Fahrzeug der
Jugendfeuerwehr Jühnde stehen. "Ich drück Dir die Daumen, ich
drück Dir Daumen!" ruft mir ein begeisterter
Jugendfeuerwehrmann zu. Auf der Fahrt über Bühren
nach Dankelshausen plagt mich der Gedanke an den nun kommenden zweiten Anstieg von Dransfeld
rauf zum Hohen
Hagen. Der ist zwar nur zwei Kilometer lang, weißt aber einige
Passagen mit über zehn Prozent Steigung auf. Werde ich auch den mit Anstand überstehen? "Die
Zuschauer schreien dich dort hinauf." hatte mir ein Mitfahrer
prognostiziert. Ganz so ist es denn doch nicht. Fast eine Stunde
nach den Führenden sind es dafür einfach zuwenig. Als ich auf den letzten hundert Meter vor dem Gaußturm
die ersten Fahrer schieben sehe, kapituliere auch ich vor meinem inneren Schweinehund. Wären mehr Leute
hier,
hätte ich vielleicht durchgezogen. Beim
Gaußturm erreichen wir mit 528 Metern Höhe den höchsten Punkt der
Strecke. Das ist hoch für einen nördlichen Norddeutschen, für den
der Bungsberg mit 168 Metern die höchste Erhebung im Umkreis von
über 200 Kilometern ist. Hinterher las ich,
dass
die fünf Bonanzarad-Fahrer mit ihren 17 Kilo schweren Rädern hier ohne
abzusteigen rübergekommen sind. Die Räder wurden zwar mit einer
8-Gang-Nabenschaltung umgerüstet, hier aber wäre ein neunter
Berggang angebracht gewesen. Ich verneige mich in Ehrfurcht. Die
restlichen 17 Kilometer kann ich locker abstrampeln, weil es fast immer
leicht bergab geht. Gut so, denn mehr Anstrengung hätte
ich an diesem Tag nicht gebrauchen können. Fünf Minuten lang rolle
ich ohne zu treten zurück in den
Göttinger Talkessel. Zu meinem Glück wartet das Ziel nicht am
anderen Ende oben auf den Zietenterrassen, sondern bereits am Rande der
Altstadt auf uns. Ich nehme mir die Zeit mich
nach dem Hersteller des Rückspiegels meines Nebenmannes zu
erkundigen. Den hat Dietmar Lambach auf dem Oberrohr montiert,
blickt damit zwischen seinen Beinen hindurch. Zwei Wochen später
habe ich mir so einen für mein Trekkingrad bestellt. Zu Beginn des Zielbereichs lasse
ich die zwei vor mir fahrenden Teilnehmer davon
sausen, schaue mich um, vergewissere mich, dass ich allein mit
der Kamera vor dem Gesicht durch die Zielgasse fahre.
Der Sprecher ist fassungslos, was das Video belegt. Einen Rennradfahrer mit Fotoapparat
vorm Gesicht hat er noch nie gesehen. Darüber kann er meinen Namen
nicht in der Liste finden. Nur Didi hatte sofort reagiert, winkte
begeistert in die Optik. Nach mir werden wohl
trotz meiner langen Pause noch so um die 25 Leute ins Ziel gekommen sein. Genau weiß ich
das nicht. Der Transponder hatte den Dienst versagt, obwohl ich
peinlich genau darauf geachtet hatte ihn mit dem Klettband richtig
am Bein anzubringen. Außer mir gingen wohl noch etliche Fahrer ohne
Wertung ins Ziel, denn anders konnte sich der Sprecher die
rechnerisch über hundert Ausfälle nicht erklären. Die
Teilnehmerzahl war offiziell auf 1.000 begrenzt, 1.063 gingen an den Start,
aber nur ca. 860 meldet der Sprecher, 925
erschienen später in der Ergebnisliste. Zwei Stunden und 55 Minuten
Fahrtzeit, einen Schnitt von ca. 26 km/h bei einem Durchschnittspuls
von 138 zeichneten meine Geräte auf. Die
beiden ältesten Finisher sind stolze 73 Jahre alt! Leider trägt
die Ergebnisliste dem nicht Rechnung. Alle vor 1965 geborenen wurden
in der Alterklasse "40+" zusammengefasst. Bei den
HEW-Cyclassics hätte in der Liste ein "Senioren 5" davon
gekündet, dass sie die 70 schon überschritten haben. Die
Transponder werden in einer Filiale der Sparkasse Göttingen
abgegeben,
einem der Sponsoren des Rennens. Am Ziel verteilen zwei Damen
Sparkassenwimpel. Mit
ihren ausgeprägten Formen und den hübschen Gesichtern drauf
symbolisieren sie das Sparkassen-S perfekt. Am
Ziel trifft sich auch das gutgelaunte Tri Top Bonanza-Team, das allen
Grund zur Freude hat. Die haben kurz darauf - zu Recht - noch eine
Ehrenrunde durch die Altstadt gefahren und sich auf der Pastaparty
feiern lassen. Nun sehe ich auch den
Besenwagen ins Ziel fahren, eine halbe Stunde Stunde vor dem
eigentlichen Ende, wohl weil niemand mehr einzusammeln war. Vor ihm
fährt Philip Rosenstock als letzter aus dem Bonanzrad-Team, lässt
sich feiern, klatscht Hände ab, genießt die ungeteilte Aufmerksamkeit des Publikums. Ich
verkneife
mir die Dusche und die ausgelobte Pasta-Party. Nachdem ich nun schon acht Stunden
unterwegs bin und noch über drei Stunden Heimfahrt vor mir habe
will ich einfach nur noch nach Hause. Vorher lasse ich mich von
Hobby-Fotograf Dirk Pönsel ablichten. Das Bild belegt den
schlechten Trainingszustand, mit dem ich aus dem ebenso arbeitsreichen
wie trainingsarmen Winter gekommen war. Später
schickte mir Ingrid Djakou schönere Fotos und das Video zu. Von ihr stammen
die Bilder Nummer 5 ("Einrollen"), 12
("Gewinner"), 14 (Dat bün ick.), 16
("Besenwagen") und 17 ("Nudelparty"). Der
"Gewinner" in Siegespose kam nicht
der erster ins Ziel. Bei einem Jedermannrennen ist jeder Finisher ein Gewinner.
Jedermannrennen
liegen im Trend. Es gibt es viele heutzutage. Nur wenige werden auf den Spuren der
Profis auf langen, abgesperrten Strecken ausgefahren. Mit
Begeisterung vernahm ich deshalb, dass mit der "Tour d’Énergie von den Zietenterrassen"
erstmalig eines im Rahmen der
Internationalen Niedersachsen-Rundfahrt ("Oddet-Rundfahrt")
stattfinden sollte. Diese
Begeisterung werden wohl einige Kollegen der BSG Haspa mit mir
teilen und ebenfalls antreten, dachte ich mir.
Matthias Langendorf, unser Spartenleiter, dachte ebenso und hatte sich wie ich
auch gleich angemeldet. Weit gefehlt.
Wir blieben zu zweit. Wegen einer Terminkollision musste Matthias
dann auf den Start
verzichten. So fuhr ich denn allein die ca. 600 Kilometer hin- und zurück nach Göttingen, motiviert von dem Gedanken an ein besonderes Rennen in
einer schönen Landschaft. Ob es sich gelohnt hat? Klares Ja! Als
Nord-Norddeutscher habe ich es genossen mal wieder andere Bilder in
den Kopf zu bekommen. Um endlich mal wieder durch Kehren und ein
schmales Tal zu fahren und minutenlange Abfahrten genießen zu
können, musste ich die lange Anreise in Kauf nehmen. Langsam
verstehe ich, warum Leute zu den Radmathons in den Alpen pilgern. Zudem
verlief die
Premiere der Tour d'Energie erfolgreich. Die Göttinger Sport- und
Freizeit GmbH (GoeSF) hat sich als kompetenter Ausrichter erwiesen. Gut
gefallen hatte mir auch die freundliche telefonische Betreuung vor
dem Rennen, als ich Detailfragen hatte bzw. die mich anriefen, um zu
fragen, ob wir denn noch einen dritten Mann für die Teamwertung
nachmelden würden. Trotzdem, meine nächste Tour ins Weserbergland
wird anders
aussehen. Im Wesertal hat sich mein Wunsch verstärkt mit dem
Trekkingrad ganz entspannt dem Flusslauf zu folgen und in den Wäldern wo immer es
geht die Straßen zu verlassen. Es
folgen das Höhenprofil und weitere aufgezeichnete Daten. Der Startpunkt
der Zeitnahme ist mit einer roten Linien
markiert. Mehr Fotos von Ingrid findest Du hier.
Ihre DVD mit ihren und meinen Aufnahmen kannst Du per
Mail bei ihr bestellen.
Hier
findest Du alle Bilder
der Tour d'Energie
2005
Hier geht's zum Bericht von der Tour d'Energie 2007
Hier
zu dem von der Tour d'Energie 2006
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