Tour d'Energie 2007 - Den Besenwagen besiegt
Nach einer rauschenden Abfahrt vom Bramwald hatte Matthias im Vorjahr noch
immer den Besenwagen im Nacken. In diesem Jahr war alles anders. Wir sahen ihn
nicht ein einziges Mal, erfreuten uns statt dessen bei strahlendem Wetter der
schönen Mittelgebirgslandschaft. Morgens um fünf hatten wir uns aus unseren
Betten gepellt um mal was anderes zu erleben. Um einen Anstieg wie den auf den
Hohen Hagen und eine Abfahrt wie die ins Wesertal zu erfahren, muss man als
Hamburger einige hundert Kilometer weit fahren. Auf diese Abwechselung hatten
wir uns seit Monaten gefreut. Matthias hatte sich bergtaugliche Kettenblätter
montieren lassen, um nicht wieder mit einem 48er-Blatt (?!) am Berg von der
Straße abgefischt zu
werden.
Vom Vorjahr kannten wir das am Start angebotene Frühstücksbuffet.
Zielstrebig fuhren wir mit dem PKW und später Rad an allen Raststätten vorbei
bis direkt vor die Halle auf dem „Sportgelände auf den Zietenterrassen“, in
der man sich in netter Atmosphäre vor dem Rennen stärken kann. Um eine gute
Zeit zu fahren, war es sicherlich nicht sinnvoll dem Körper kurz vorher noch
Rühreier und gebratenen Speck zuzuführen, aber das Angebot war so verlockend,
dass sich vor Anatolij Matjuhin mit seiner Bratpfanne eine lange Schlange gebildet hatte. Während
wir brav warteten bis Anatolij unsere Portion gebraten hatte, fiel mir Sibylle Weczerek
wegen ihrem offiziell wirkenden Dress auf. Wie sich herausstellte ist sie Physiotherapeutin und Mitglied des Massageteams der Physiotherapie & Massagepraxis
Michael Lange. Sie lud uns ein zu ihnen in den Nebenraum zu kommen.
Prompt haben wir denn die verbliebene Zeit vor dem Rennen dafür genutzt unsere
Muskel lockern und aufwärmen zu lassen. Annemarie Gengs Massage habe ich es
wohl zu verdanken, dass ich mal wieder ein Rennen ohne Krämpfe beenden konnte. Neben
dem Buffet gab einen Stand der Göttinger Vollkornbäckerei Das Backhaus. Es gab
vier verschiedene Sorten leckere Öko-Vollkorn-Müsliriegel frisch vom Blech
geschnitten zum Mitnehmen. Daneben konnte man seine Flaschen auffüllen. In
unserem Startbeutel finden wir eine Trinkflasche und gar ein T-Shirt vor, wofür
woanders ein Aufpreis verlangt wird. Eigentlich wollten wir als "Team
Haspa" starten, waren aber nur zu zweit geblieben. Wir hatten uns dann
Thomas "Thali" Thalheim und seinem Team "Henry Bleud" angeschlossen, die vorher ebenfalls nur zu zweit waren. Weil aber Thomas Kumpel
ausfiel, blieben wir letztlich doch nur zu dritt, gelangten so nicht in die
Teamwertung. Das war uns nicht wirklich wichtig, denn auch in der Wertung
hätten wir ebenfalls einen kaum nennenswerten Platz erreicht. Leider zeigte sich
während des Rennens, dass man das auch anders sehen kann. Wie im Vorjahr
erschlich sich ein Trickser den ersten Platz. In diesem Jahr auf der neu
eingeführten Kurzdistanz über 50 Kilometer. Er startete "heimlich"
zusammen mit dem ersten Block der Langstreckenfahrer. Nach Angaben eines seiner
Kumpel im GoeSF-Forum hätte er das Rennen auch so gewonnen. Warum griff er
dann zu diesem miesen Trick? Wir taten das, was man tun sollte, stellten uns
brav in dem uns zugewiesenen Block auf und staunten über das gegenüber den
Vorjahren erneut größer
gewordene Teilnehmerfeld. Darin trafen wir auch Ralf vom RV Trave, einem
Mitglied in der von Matthias geleiteten Indoor-Cycling-Gruppe. Ralf fügte sich in
sein Schicksal sich im Block hinter uns aufstellen zu müssen. Über
1.600 Teilnehmer warteten mit uns auf den Startschuss, ca. 200 mehr als im Vorjahr. Viel mehr sollen es allerdings in den
nächsten Jahren nicht werden, erzählte mir Veranstalter Alexander Frey nach
dem Rennen, damit die Tour d'Energie eine überschaubare Veranstaltung bleibt. Die
Organisation machte ja schon in den Vorjahren einen professionellen Eindruck,
zunehmend tun dies nun auch die Teilnehmer. Zu sehen waren Teams
mit Mannschaftsbus, Betreuer und einheitlichen Rädern. Ich fotografierte ein Team, dass
sich neben seinem Mannschaftsbus auf Rollentrainern warm fuhr. Durch die
Aufnahme der Tour d'Energie in die T-Mobile-Cycling-Tour werden in den nächsten
Jahren wohl noch mehr Semi-Amateur-Teams mitfahren. Solange sie nicht nur
Ehrgeiz, sondern auch Sportsgeist beweisen, kann einem das einerseits Recht
sein. Es nimmt der Tour andererseits etwas von ihrem Charme, im waren Sinne ein
Jedermannrennen zu sein. Matthias und ich hatten vereinbart bis zum
Schluss zusammen zu bleiben und nur bei den großen Steigungen und Abfahrten
unseren eigenen Rhythmus zu fahren. Thali wollte sich eventuell uns
anschließen, aber wir waren zu langsam für ihn. Wir verloren ihn schon im
Gewühl auf dem von einem Konvoi der Polizei angeführten neutralisierten erstem
Abschnitt durch die Göttinger Innenstadt, weil ich meinen Tachoimpulsgeber
nachjustieren musste. In großen Gruppen ging es zunächst über die Rosdorf,
Mengershausen und Jühnde nach Meensen. In den Orten feierten
zahlreiche Zuschauer uns und sich, wenn auch nach meinem Eindruck trotz des tollen Wetters
weniger als im Vorjahr. Vielleicht war das Wetter "zu gut" und die
Leute bewegten sich lieber selbst in der frischen Luft. Vor Meensen erspähte
Matthias schon mal den Funkturm auf dem Hohen Hagen, an dem uns der Rückweg
direkt vorbei führen sollte. Ich plauderte mit Michael Geschwentner, einem bestens gelaunten Einheimischen,
der sich darüber freute, dass so viele Radler mit ihm auf seiner Hausrunde
fuhren. Bernd Strohschneider erkannte mich wieder, nein, nicht von meiner
Homepage, sondern von dem Stück, das wir im letzten Jahr gemeinsam bei der TdE gefahren
waren. Vor Meensen nahmen die 50-er-Runde-Fahrer die "Abkürzung"
nach Scheden. Ihnen entging der Anstieg durch das malerische Meensen. Die steile,
von mir schon im vergangenen Jahr "Mauer von Meesen" getaufte Straße
durch den Ort führte uns wieder an den freundlich dreinblickenden korrekt
gekleideten Kirchgängern vorbei. Am Ende der Abfahrt vor Wiershausen liegt
eine 90 Grad Linkskurve. Geradeaus weit draußen auf dem Feld stand ein Sani, offenbar einen verunglückten Radfahrer neben sich
auf dem Boden liegend. Wir konnten ihn nicht sehen, aber der Anblick ließ einen
erschaudern. Der im GoeSF-Forum
"Geradeausfahrer" getaufte verlor bei dem schweren Sturz kurz das
Bewusstsein. Sein Helm war völlig demoliert, aber ihn konnte man retten. Die
Sanis waren sofort da, ließen ihn mit einem Hubschrauber abtransportieren. Er
dürfte zwischenzeitlich wieder vollständig genesen sein. Kurz darauf begann
schon die Abfahrt über Wiershausen nach Hannoversch-Münden im Wesertal.
Straßenschilder warnten vor bis zu zwölf Prozent Gefälle. Vor,
nach und vor allem während der Fahrt schoss ich 240 Fotos, sprach mir Notizen
auf 's Band. Auf den Abfahrten ließ ich die Geräte lieber in den Trikottaschen.
Trotz mehrmaligen Abbremsens erreichte ich auf der Straße runter zur Weser bis
zu 70 km/h. Selbst mit beiden Händen am Lenker erforderte das meine volle
Konzentration. Auf dem folgenden Stück die Weser entlang wurde mir eine kurze
Zeit lang schlecht. Die Eier und der Speck wollten wieder raus. Bis zum Anstieg
rauf zum Bramwald habe ich nicht einen Bissen gegessen. Ich traf Jörg Steffens
vom RSG Reha Team. Jörg berichte mir vom Prolog am Vortag. "Schlappe sechs
Minuten das große Blatt voll durchdrücken." lautete die Taktik der
Flachländer. Die
ging bei dem steilen Anstieg nicht auf. Hinterher hatte Jörg gar Probleme mit
seine Bronchien. Anders als im Vorjahr
konnte Matthias mit seiner neuen Kettenblattgarnitur den langen Anstieg rauf zum
Bramwald ohne
abzusteigen bewältigen. Er konzentrierte sich auf seinen Puls, ich auf meine
Fotos; so nahm er mir gar etliche Meter ab. Hart
war für uns das erste Stück, wo uns auf freiem Feld ein starker Wind von vorn
entgegen blies. Wie in jedem Jahr standen wieder viele Schilder mit absurden
Radsport-Sprüchen am Wegrand. Ob der Steigung fiel mein Tempo bis auf elf km/h ab.
Ein heranbrausendes Auto ließ mich aufhorchen. Es war aber ein nur ein Rettungs- statt
dem Besenwagen. Anscheinend
gab es mehrere Unfälle mit meistens nur leicht Verletzten, nicht zu vergleichen
mit den vielen Stürzen wie es sie jedes Jahr bei den Vattenfall Cyclassics zu
beklagen gibt. Die gefährlichsten Kurven sind rund um Göttingen ohnehin das ganze Jahr
lang für den
Autoverkehr kenntlich gemacht. Trotzdem standen dort Sanitäter für den Fall
der Fälle bereit. Oben an Verpflegung versorgten uns mit Claudia und
Christine zwei angehende Bürokauffrauen der GoeSF. Wir haben uns dort nicht lange
aufgehalten, lieber Gas gegeben, um nach der langen Bergauffahrt den uns unbekannten
Abstand auf den Besenwagen wieder zu vergrößern. Rühren
ist ein Ort, den ich auf keiner Karte, aber in meinen Notizen vom Rennen fand.
Ein hübscher Ort, in dem uns viele freundliche Menschen begrüßten. Nächste Fahrprüfung war die
Fahrt über das Kopfsteinpflaster in Bühren. Wir leisteten es uns vorsichtig
darüber zu fahren. Für die Spitzengruppen wird dieser Abschnitt sicherlich sehr
gefährlich gewesen sein. Auf dem Anstieg hinter der Felderzusammenführung überholte uns ein Polizeifahrzeug auf
Alarmfahrt. Mit in jeder Kurve
quietschenden Reifen fuhr es die Serpentinen hoch. Banküberfall? Den wahren Grund
dafür werden wir wohl nie erfahren. In Dransfeld angekommen stieg bei uns die Spannung.
Wie wird es uns wohl gelingen den Hohen Hagen zu bezwingen? Der Hagen ist
auch die letzte Bergwertung der Lotto-Rundfahrt. Gleich am Anfang vor dem
Sportlerheim kommt eine steile Rampe, die Matthias aus dem Sattel steigen ließ.
Wenn man die Strecke nicht kennt, denkt man dass nun alles noch schlimmer wird,
aber die Steigung wird kurz darauf wieder moderater, um dann auf dem letzten
Stück nochmals erheblich anzusteigen. Nach zwei Kilometern wollten auch meine
Oberschenkel nicht mehr so recht. Ich hatte Glück. Matthias stieg vor mir ab.
So konnte ich einfach so tun, als würde ich nur aus Solidarität mitschieben.
Bevor wir den Parkplatz mit den vielen Zuschauer passierten, saßen wir wieder
im Sattel. Den Fotoapparat in der Hand trieb ich "unsere" Fans mit
"Gebt mir alles!"-Rufen zu Höchstleistungen an. Die bedankten sich
mit hochgerissenen Armen. Einer rannte gar mit einer großen Bimmel in der Hand
hinter mir her. An der Kuppe viel die Freude über unser Erscheinen etwas
verhaltener aus. Kein Wunder. Die Zuschauer hatten lange auf uns warten müssen
und dabei unsere 1.500 Mann und Frau starke Vorhut angefeuert. Nach
der Kuppe wussten wir, dass wir es geschafft hatten. Neben wenigen kurzen
Anstiegen lagen noch zwei lange Abfahrten vor uns, runter vom Hagen und rein
nach Göttingen. In der Bürgerstraße warteten das Ziel und der Eventplatz auf
uns.
Die Abfahrt nach Göttingen fiel nicht so berauschend wie im Vorjahr aus.
Statt Rückenwind hatten wir nun welchen von vorn. In den Göttinger Vororten
klatschten wir die Hände zahlreicher Kinder ab.
Tour-Teufel Didi Senft hatte ich beim Start zwar über Lautsprecher gehört,
trotz seiner auffälligen Erscheinung aber nicht erspäht. Am Ziel konnte ich
ihn ebenfalls nicht entdecken, obwohl er die ganze Zeit dort war. So muss
erstmals ein Bericht von mir von der TdE ohne ein Didi-Foto auskommen. Da in diesem Jahr mal ich auf Matthias, mal Matthias
auf mich und nicht immer ich auf ihn warten musste, kamen wir nach drei Stunden
und sechsundzwanzig Minuten im Ziel an, dicht gefolgt von den Profis der
Lotto-Rundfahrt. Für mich elf Minuten schneller als im
Vorjahr, wobei es mir letztlich egal war, Hauptsache dem Besenwagen entronnen. Den haben wir selbst oben von den Serpentinen des Bramwalds aus nie erspähen
können. Zum Glück, denn schon sein Anblick hätte meinen Puls steigen lassen. Stolz
ließen wir uns nach der Transponder-Rückgabe ablichten. Wer das Rennen
gewonnen hat? Das ist mir egal! Es ärgert mich, das nach 2006 auch in 2007 beim Rückblick auf das tolle Rennen
wieder so eine Diskussion um das Reglement und das es austricksende Teams
aufflammen musste. Das Team faktor/personal sports, das das zu verantworten hat,
hat sich und dem Radsport einen Bärendienst erwiesen. Für den Namen des
verhaltensauffälligen Einzelfahrers ("KHG")
interessiert sich neben ihm selbst wohl kaum jemand, deshalb erspare ich ihn
Dir. Alexander Frey,
Geschäftsführer der GoeSF, ist genervt von dem Gerangel um die ersten Plätze,
möchte einfach nur eine tolle Veranstaltung für die Jedermänner unter den
Jedermännern anbieten. Jedes Jahr fährt er vor dem Rennen selbst die Runde ab,
um beurteilen zu können was er denen zumutet. Neben uns fuhr ein Autokorso
von Basketballfans durch den Zielbereich. Die BG 74 war eben erst in die erste
Liga aufgestiegen, feierte sich und ließ sich feiern. Begeistert berichtete
Alexander Frey von der Unterstützung der Polizei, der Feuerwehr und den
Hilfsorganisationen für das Rennen. Nun will auch die Stadt Göttingen noch
stärker einsteigen und Touristen als Teilnehmer und Zuschauer gewinnen. Es wird
Pauschalarrangements für Hotelübernachtungen geben. Wer will kann aber auch
weiterhin kostenlos in der Turnhalle beim Startplatz schlafen. Während
ich ihn noch interviewte, musste er zum Treffen mit dem Niedersächsischen
Innenminister Uwe Schünemann. Das ist der richtige Rahmen für ein Foto, dachte
ich. Da ich
als Hamburger aber das Gesicht des Ministers nicht kannte, musste Alexander Frey
ihn mir zeigen. Der da? Der sah aus wie sein eigener Bodyguard! Groß und
kräftig. Keine Krawatte. Hemd offen. Hände in den Taschen. Bei der
Nudelparty erzählte ich Matthias, dass der Minister nicht wie ein Minister ausgesehen
hatte. Das beeindruckte ihn nicht. "Na und. Du siehst ja auch nicht aus
wie ein Radsportler." Danke! Das motiviert mich im nächsten Jahr mit
weniger Übergewicht erneut anzutreten. Alle
Bilder
der Tour d'Energie
2007 gibt 's hier
Den Bericht von der
Tour d'Energie 2006 hier
Den von der Tour
d'Energie 2005 hier |