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HEW-Cyclassics
2001
Triumpf des Willens oder der Unvernunft?
Ein
launiger
Rückblick auf Höhen und Tiefen
bei meiner erstmaligen Teilnahme
am 167 km langen
Jedermann-Rennen
Im
Bild: Bei Kilometer 145 in Wedel.
Foto: Katrin Behrens
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3
Tage davor – Haspa |
Habe
mich erstmalig für die Langstrecke angemeldet. Zu meinem Leidwesen
lese ich, dass dies auch drei Kollegen getan haben und wir als ein Team
gemeldet wurden. Damit steigen die Anforderungen an mich, denn wenn
ich mich bei der Feldertrennung doch für die Mittelstrecke
entscheiden würde, wäre das Team geplatzt.
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1
Stunde davor – Innenhof Haspa-DZN |
Was
macht mein Körper, wenn er sechs Stunden ohne Nikotinzufuhr
auskommen muss? Wäre es evtl. besser, unterwegs eine zu rauchen?
Hab mir für den Notfall zwei Zigaretten eingesteckt.
Für
die Aktiva, unsere Firmenzeitung, soll ein Foto geschossen werden.
Da wir Mittel- und Langstreckler früher starten und die
Kurzstreckler in der Mehrheit sind, fahren wir unfotografiert vom
Hof. |
km
0 – Mönckebergstraße |
Es
geht los. Nehme mit vor, mich nicht zu schnell mitreißen zu lassen. |
km
2 – Berlinertordamm |
Nach
der Startfelderzusammenführung herrscht dichtes Gedränge. In den
Kurven muss man aufpassen, dass man nicht an den Kantstein gedrängt
wird. |
km
6 – Borsigstraße |
Unglaublich,
wie viele Leute beim Überfahren von Schienen ihre Trinkflaschen
verlieren. Man muss sehr aufpassen, um die rutschigen Dinger
rechtzeitig zu umfahren. |
km 14 – Ochsenwerder |
Fahre
in einem großen, dichten Pulk. Die, die links fahren, überholen
uns langsam. Plötzlich kommt ein schnellerer Pulk von hinten auf uns
aufgefahren und überrollt uns. Links und recht schießen Räder
knapp an mir vorbei. Idioten! Mehrmals bange ich um meine
Unversehrtheit. |
km
20 – Fünfhausen |
Mein
neues, gebrauchtes Eddy Merckx-Rennrad läuft gut. Anders als im
letzten Jahr kann ich zügig schalten und mit den Systempedalen viel
runder treten. |
km
25 |
Meine
persönliche Marschtabelle mahnt mich alle 25 km mit Piktogrammen
zur Nahrungsaufnahme, warnt vor besonderen Gefahren und weist auf
Steigungen hin. |
km
31 – Bergedorf |
Meine
Arbeitskollegen Marion und Detlev winken mir zu. |
km
42,5 – Schleusenbrücke |
Erste
Wendepunkt. Schnitt bis jetzt: weit über 30! |
km
79 – Heimfeld |
Der
Anstieg zu den Harburger Bergen ist scheinbar geschafft, aber noch
immer zeigt der Tacho nur 18 km/h. Es dauert einige Zeit, bis ich
merke, dass dies nichts mit schwindenden Kräften, sondern mit dem
immer noch schleichenden Anstieg zu tun hat. |
km
90 – Abfahrt nach
Hausbruch |
Schußfahrt
mit über 55 km/h. Man könnte ich noch viel schneller fahren. Ich
konzentriere mich lieber auf den Abstand zu meinem Nebenleuten. |
km
95 |
Erste
Krampfattacken in den Oberschenkeln, die aber schon bald nachlassen. |
km
98 - Köhlbrandbrücke |
Ich
lasse mir von einem Ordner meine halb abgerissene Rückennummer wieder anstecken und genieße die grandiose Aussicht auf den
Hafen. |
km
113 – Speicherstadt |
Felderteilung.
Hab ich noch Kraft genug für die restlichen 60 km oder sollte ich
mich besser links einordnen um bereits nach zwei Kilometern das Ziel
zu passieren? Ich fahr geradeaus. Es wird wohl schon gehen. |
Hauptbahnhof |
Ich
hab wohl bislang zu wenig gegessen. Mich überfällt eine
Heißhungerattacke, esse alle Reste auf. Wohl zu spät, wie sich
schon bald zeigt. |
km
120 – Anstieg zur Schnackenburgsallee |
Ausgerechnet
da, wo Begleiter der Profis mit ihren Fahrzeugen auf ihren Einsatz
warten, verkrampft mein Beinmuskulatur total. Ich muss absteigen und kann mich zunächst nur noch stehend am Rad festhalten.
Das war’s denn wohl! Gehe völlig frustriert zurück Richtung
Felderteilung. Meinen Schnitt für die Mittelstrecke hab ich mir mit
diesem „Umweg“ total versaut. Was werden meine Teamkollegen
sagen? Als ich wieder aufsteigen kann, beschließe ich nochmals
umzudrehen und die restlichen 50 km abzufahren. |
km
124 – Schenefeld |
Immer
wieder verliere ich den Anschluss an meine Vorderleute, sobald die
das Tempo anziehen oder eine leichte Steigung kommt. Das kostet zusätzlich
Kraft. |
km
135 – Holm |
Hier
scheinen nette Leute zu wohnen, so wie die sich am Straßenrand für
das Rennen eingerichtet haben. |
km
144 – Wedel |
Volksfest.
Die Massen jubeln mir zu, aber mir ist das im Moment nur peinlich. |
km
145 – Schulauer Straße |
Katrin
Behrens (ORG) lichtet mich ab. Resultat: Siehe oben. Toll, dass sie durchgehalten hat, bis auch
ich hier
vorbei gekommen bin. |
km
146 – Verpflegungsstation |
Esse
und trinke in aller Ruhe, hole mein Handy raus und sag meinem Mädel, dass ich
etwas später nach Hause kommen werde.
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km
151 – Anstieg zum Kösterberg |
Meine
Muskeln verkrampfen erneut. Zum Glück sind nur noch wenige Fans da.
Die haben wohl selbst Klappräder hier hochfahren gesehen und können
nun einen eierig den Berg hochschieben Rennradfahrer bestaunen. Ich
beschließe, die Leute nicht zu bemerken - und die sehen tatsächlich
pietätvoll an mir vorbei! |
km
156 – Abfahrt durch Blankenese |
Bergab
geht’s mir wieder besser. |
km
161 – Elbhang |
Da
steht mein Arbeitskollege und Feuerwehrkamerad Torsten Herbers als
Streckenposten mit seinem Feuerwehrwagen. Dieser Anblick hebt noch
mal meine Stimmung. |
km
166 – Rathausplatz |
Nach
über 5½ Stunden endlich die Zieleinfahrt. Weil schon bald die
Profis folgen werden, sind die Ränge voll besetzt. Ein Höllenlärm
aus Rasseln, Klopfen, Klatschen und Brüllen bricht über mich
herein. Ich schau mich um. Wen meinen die? Die meinen mich, es ist
ja kein anderer da! |
km
167
– Mönckebergstraße |
Nach
den Kurz- und Mittelstrecklern kamen die Langstreckenfahrer hier
durch und nun auch ich. Von den 10.000 Teilnehmern kommen nur noch
28 nach mir ins Ziel. Trotzdem bin ich mit einem Schnitt von 29,9 km/h
nur knapp unter meinem persönlichen Ziel „30,x“ geblieben.
Unser
"Team" wird 80. gesamt, 25. der Firmenwertung. |
1
Minute danach – Steinstraße |
Endlich
bekommt mein Körper das verlangte Nikotin. |
15
Minuten danach – Burchardplatz |
Ein
junger Mann kümmert sich liebevoll um mich, knetet intensiv meine
geschundenen Muskeln durch und erkundigt sich nach meinem Wohlbefinden.
Mein Wohlbefinden ließe sich noch steigern, denn ein katzenartiges
blondes Wesen kommt auf uns zugeschwebt. „Möchtest Du nicht mal ne
Pause machen“ säuselt die ihm ins Ohr. Der aber antwortet mit
„Nein“!
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5
Tage danach – Haspa |
Endlich
kann ich wieder schmerzfrei treppensteigen. |